Kreatives Gestalten zur Trauer- und Traumaverarbeitung

Leid ist die Zeit, in der sich der Kopf noch dagegen wehrt,
was das Herz schon weiß.
Anssi

Der Stagnation vorbeugen, Blockaden lösen

In der Trauerarbeit unterstützt uns die Mal-Therapie vor allem dabei, über die Bewegung aus der Erstarrung herauszufinden, ohne das sich das für den Hinterbliebenen wie Verrat anfühlt. Sie hilft uns, wieder Schritte zu gehen – gemeinsam mit dem Verstorbenen, der jetzt unser innerer Trauerbegleiter, Lehrer und Beschützer ist. So schlimm das auch ist, was uns passierte, jeder muss über Kurz oder Lang wieder aus seiner Kokon herausfinden und ins Handeln kommen, wenn er nicht für den Rest seines Lebens ein lebendiger Toter bleiben möchte. Menschen, die ins Tun kommen, stagnieren nicht. Nie ist das so wichtig wie in Zeiten von Trauer und Depression.

Malen und Werkeln erfüllen diesen Zweck und helfen dabei, sich wieder besser zu spüren und mit seinen Gefühlen in Kontakt zu bleiben, indem man ihnen Ausdruck verleiht. Wer sie vor lauter Schmerz abschaltet, um sich zu schützen, muss auf Dauer einen hohen Preis dafür zahlen. Die Hölle ist dafür da, durch sie hindurch zu gehen, um auf der anderen Seite wieder neu daraus hervor zu gehen. Es gibt nichts Schlimmeres, als in ihr festzustecken.

Malen ist die sanfte Art, sich mit blockierenden Emotionen auseinanderzusetzen, sodass dahinterliegender Schmerz die Möglichkeit bekommt, an die Oberfläche zu gelangen. Nur wenn das zugelassen wird, können die heilsamen Trauergefühle ins Fließen kommen. Schmerz muss durchlebt und aufgearbeitet werden, wenn er nicht als lebenslange Last mit uns herumgetragen werden will. Nur wer ihn kennenlernt, kann mit ihm umgehen und sich von ihm bestenfalls verwandeln lassen.

Über die bildliche Darstellung der nicht greifbaren und darum bedrohlich wirkenden Gefühlsmonster, die in der Trauer gnadenlos auf einen einströmen, wird ihnen ein Gesicht gegeben. Dadurch werden sie erkenntlich, greifbar und man kann sich mit ihnen auf ein- und derselben Wirklichkeitsebene konstruktiv auseinandersetzen. Nur so kann mit ihnen umgegangen werden. Das Ziel ist, kein Trauma zu verschleppen, dadurch gesund zu bleiben und irgendwann auf fremde Hilfe nicht mehr angewiesen zu sein, um eines Tages ohne Verbitterung wieder am Leben teilnehmen zu können.

Auszeit vom Schmerz

Während kreativen Prozesse nutzen wir unsere Schöpferkraft, die auch als Urkraft bezeichnet werden kann. Etwas zur Entfaltung zu bringen ist das Gegenteil von Tod und Stagnation. Darum ist Malen etwas absolut Lebensbejahendes, das positiv auf unsere Stimmung einwirkt, ob wir nun liebliche oder schmerzliche Motive auf das Papier übertragen. Schon der Vorgang ansich ist heilsam. Verweigerer würden den Stift gar nicht erst in die Hand nehmen. Die Hinwendung , die beim Malen erforderlich ist, erzeugt außerdem eine tiefe Entspannung. Die Versunkenheit zentriert unsere  Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt, wo es keinen Schmerz gibt. Quälende Gedanken haben aber mit Vergangenheit und Zukunft zu tun. Das, was war, kommt nicht wieder, und das was kommt, kann ohne das, was war, nie wieder schön werden.  So kann die Zeit des Malens eine wichtige Erholungsphase für die Seele sein, um wieder Kraft zu tanken für neue Verarbeitungsprozesse. Trotzdem ist das keine Ablenkung, da der trauernde beim Thema und der Auseinandersetzung damit bleibt.

Sinnfindung

In Krisenzeiten und während der Trauer wenden wir uns wieder nach innen und damit den existenzielleren Fragen zu:

Woher komme ich? Wer und was bin ich? Wo gehe ich hin? Was ist der Sinn des Lebens und meines Daseins? Worin liegt meine Aufgabe, was ist meine Bestimmung?         

Die Kunsttherapie hilft uns dabei, in Bereiche vorzudringen, die uns diese Antworten geben können. Wir nähern uns ihnen visuell und taktil an. Solange wir uns diese Fragen nicht beantworten können , bleiben wir orientierungslos. Außerdem läuft Leben zielgerichtet ab. Ohne Ziele ist es ebenso wertlos. Wird ihm der Sinn genommen, fallen wir ab in eine schwere Depression, die uns lähmt. Geht jegliches Wollen und Werden verloren, muss gehandelt und unbedingt ein neuer Sinn gefunden werden. Leben erhält seinen Wert nicht von alleine. Es braucht dafür uns. Wir geben im Gehalt, wir sind es aber auch, die sich im Zweifelsfalle für die Leere entscheiden. Nicht jeder Mensch möchte leben und wir sollten auch niemanden dazu zwingen. Für all diejenigen aber, die sich nicht aufgeben möchten, aber in dem Gefühl der inneren Trostlosigkeit nicht weiterleben können und wollen, ist es wichtig, diesen Prozess der Selbstaufgabe aufzuhalten, bevor noch der letzte Funken Lebensenergie verloren geht, der dafür benötigt wird, sich wieder aufzurichten. 

Zentrierung und Kontakt zu Größerem

Wer malt, ist automatisch im Hier und Jetzt und erlangt durch diese Konzentration aufs Wesentliche Kontakt zu einer anderen, viel essenzielleren und noch unentdeckten Wirklichkeit seines Seins. Diese kann mit Worten nicht beschrieben, sondern nur gefühlt und erfahren werden. Bei jedem, der diesen Zugang zur Quelle herstellen kann, hinterlässt dieser Kontakt einen tiefen und bleibenden Eindruck. Dasselbe passiert beim Schreiben übrigens auch. Es werden dabei Kanäle geöffnet, aus denen tiefste Wahrheiten ins Bewusstsein gelangen, Einsichten entstehen oder Ideen geschöpft werden, die unter normalen Umständen nicht  ans Tageslicht befördert worden wären. Besonders nach Verlusten kann diese Gefühl, mit etwas Größerem, Zuverlässigem, Bleibendem und Ewigem verbunden zu sein, heilende Prozesse in Gang setzen. Der Mensch fühlt sich eins mit allem und dadurch sicher, unsterblich und geborgen.

Verstorbenen sind im Außen nicht mehr sichtbar, können aber gefühlt manchmal noch wahrgenommen werden. Wenn wir beim Malen abtauchen und in die Gedankenstille gehen, können wir ihre Energie vielleicht so sanft wie den Flügelschlag eines Schmetterlings erahnen. Bei sensiblen Menschen kann dadurch sogar außerdem eine spürbare Verbindung zur „Anderswelt“ hergestellt werden. Schließlich sind unsere Toten nur  “im Zimmer nebenan”.  Aus Angst vor Gefühlen, den Zugang zu ihnen zu versperren, ist nicht klug, wenn man mit einem schweren Verlust weiterleben muss.

Gefühle über die Farbe zulassen

Sich beim Malen wieder an Farben heranzutrauen ist ein großer Schritt in Richtung Lebendigkeit, denn ohne Gefühle sind wir tot. Farben haben etwas Aktivierendes und holen uns im besten Falle aus unserer Lethargie heraus. Der Umgang mit Farbe kann uns aufmuntern, aber auch genau das Gegenteil erzeugen. Darum muss man vorsichtig mit ihnen umgehen. Natürlich meiden wir vorerst alles Bunte. Gedeckte Farben  spiegeln unsere innere Stimmung wieder. Darum können uns Farben auch anschreien, herausfordern oder provozieren. Farben stehen für Gefühle. Mit ihnen intuitiv umzugehen ist deshalb sehr wichtig. Wenn wir noch nicht so weit sind, ist es auch völlig in Ordnung, sich diesem Bereich noch nicht zu stark zu nähern. Entwicklung braucht seine Zeit. An den Farben, die wir verwenden, erkennen wir, wo wir stehen. Ist da noch nicht so ein großes Bedürfnis vorhanden, viel Farbe ins Spiel zu bringen, dann ist es richtig, sie wegzulassen. Wir möchten noch keine Gefühle hochkommen lassen, mit denen wir noch nicht umgehen können. Manchmal ist man allerdings beim Betrachten seines Bildes selbst überrascht, dass man schon weit mehr Farbe (Gefühle) zulassen konnte, als man von sich gedacht hatte.

Öffnen für einen Perspektivwechsel

Verluste können ohne Veränderung der Weltanschauung nicht verarbeitet werden. Das eine geht nur mit dem anderen. Wer glaubt, seine alte Weltanschauung behalten zu können und trotzdem mit dem Schmerz klar zu kommen, der täuscht sich. Dafür sind Verluste nicht gemacht. Nichts verändert unsere Weltanschauung mehr als der Schmerz. Er ist wie eine Geburtswehe, die uns in ein neues Bewusstsein trägt. Keine Erfahrung wird umsonst gemacht. Jede auch noch so schlimme ist in erster Linie als eine Aufforderung zur Verwandlung zu sehen. Das, was Bewusstsein im Laufe seines Lebens dazugewonnen hat, nimmt es überall mit hin. Es kann nicht verloren gehen. 

Leben dient dazu:

  • sich selbst zu erkennen
  • sich anzunehmen, so wie man ist
  • alle Potentiale in sich zu wecken
  • diese für das Gemeinwohl und damit wieder für sich selbst einzusetzen

Zugehörigkeit

Jeder Mensch braucht ein Zuhause, wo er sich wohlfühlt  – einen Ort, an dem er geborgen und sicher ist, wo er hingehört, willkommen ist und wirken kann. Wenn seine kleine, begrenzte Welt  dies nicht mehr hergibt, weil die Erfahrung gezeigt hat, dass man augenscheinlich aus ihr herausfallen kann, dann müssen die selbst gesetzten Grenzen erweitert werden. Das ermöglicht uns, nach vorn zu schauen. In dem Prozess, der nicht von heute auf morgen vonstatten geht,  wird die alte Weltsicht zugunsten einer neuen, heilsameren aufgegeben. Das ist das Geschenk der Trauer. In ihr erfährt der Mensch, dass der Kontakt zum Verstorbenen sich nicht aufgelöst, sondern nur verändert hat.

Durch die Arbeit mit Gestaltungsmitteln und der damit verbundenen gezielten Fokussierung und Energiebündelung kann die Sensibilität für Phänomene stark erhöht werden. Es wird nicht nur die Wahrnehmung geschärft, sondern die andere Seite regelrecht zu uns eingeladen, damit dieses Erleben möglich wird. Das, was wir am eigenen Leibe spüren und erfahren, hat nichts mehr mit naivem Glauben zu tun. Dieser Glauben wandelt sich über die Häufung der erlebten Nachtodkontakte um, und zwar in eine Gewissheit, dass nach dem Tode noch etwas kommt, und wir nicht nur diese Hülle sein können.

Trauma und die Bildersprache

Malen an sich hat schon eine therapeutische Wirkung, die komplett ohne Worte auskommt. Bei Traumatisierungen ist es ja oft so, dass das Sprachzentrum der Betroffenen während des schlimmen Ereignisses  zugunsten der Überlebensmechanismen ausgeschaltet ist, wodurch der Vorfall im Nachhinein nicht beschrieben werden kann. Insofern kann Gesprächstherapie nichts erreichen. Um sich mitteilen zu können, muss auf andere, nichtsprachliche Methoden zurückgegriffen werden, wie z.B. auf die Kunstherapie. Sie kommuniziert nonverbal und macht trotzdem die Dinge bewusst – sogar viel stärker als es Worte je könnten. Alle Beschreibungen sind nur ein Abbild der Wirklichkeit. Es liegt in der Natur von Worten, dass sie die Wahrheit niemals vollständig wiedergeben können. Dazu kommt, dass  Menschen in der Dissoziation keine Gefühle empfinden, sondern sich beobachtend wahrnehmen. Durch diese Schutzfunktion sind auch keine Gefühle zu verzeichnen. Sie können sogar so abgespalten werden, dass sie nicht wieder gefühlt werden können. Erst in Triggersituationen melden sie sich aus einer unbewussten Ebene und sind dann nicht steuerbar. Sie müssen erst wieder ins Bewusstsein zurückgeholt werden. Bilder übernehmen diese Aufgabe. Über das Malen kann sich der seelisch schwer verletzte Mensch seinen abgespaltenen Anteilen vorsichtig wieder annähern und sie in seine Persönlichkeit zurück integrieren.

Ritualcharakter mit Transformationsgarantie

Das Erstellen eines persönlichen Bildes hat Ritualcharakter. In Ritualen geht es darum, durch das Ausgleichen der Polaritäten die Mitte wiederzufinden. Darum sind sie so heilsam. Papier ist ein Medium, auf dem man das wunderbar anschaulich machen kann. Der Stift kennt keine Grenzen, die Hand kann alles zeichnen. Es ist enorm wichtig für die Seele, die verloren gegangene Ganzheitlichkeit in sich wiederherzustellen. Auch wenn ein Teil unserer gewohnten Wirklichkeit für uns aus dem Blickfeld verschwunden ist, heißt das noch lange nicht, dass dieser Teil für ewig weg ist. Er mag sich der Materie entziehen, aber Materie ist nicht die einzige Wirklichkeit, die es gibt. Wir leben in der Polarität. Das bedeutet:  Das Eine kann nicht ohne das andere existieren. Wenn es ein Diesseits gibt, muss es auch ein Jenseits geben. Der Tag kann nicht ohne die Nacht sein, sonst würde er sich nicht Tag nennen können. Nur wenn etwas da ist, kann auch etwas weg sein. Was kommt, vergeht und was vergeht, kommt wieder . Das ist der Kreislauf des Lebens. Trotz Vergänglichkeit ist das der heile Zustand. Verleugnung dessen zerstört ihn.

In Ritualen wird symbolisch der fehlende Teil wieder hinzugefügt, sodass keine schreiende Lücke mehr klafft, die unser Weltbild zerbröseln lässt. Wenn man den Verlust seiner Realität in ein Bild übersetzt, dann kommt dies einem Kreis gleich, der nie wieder geschlossen werden kann. Der schützende Raum, der sich in ihm befindet, hat eine Verletzung erlitten. Es sieht so aus, als könne durch diese Wunde etwas aus dem Universum herausfallen. Wenn das Universum aber alles ist, was es gibt, wie soll dann etwas aus ihm herausfallen können?

Das Zeichnen von Kreisen und Kugeln ist nicht umsonst für alle Menschen eine Wohltat. Ich denke da nur an die Mandalas im Buddhismus. Wir sprechen nicht umsonst geometrischen Zeichen und Symbolen Magie und Heilung zu, denn sie erinnern uns daran, dass die kosmische Ordnung nicht zerstört werden kann. Selbst das Leben, welches mit dem Kosmos spielt, kann sie nicht durcheinanderbringen, da Selbstregulierungsprozesse immer wieder für Ausgleich und Harmonie sorgen. Auch Verstorbene finden wieder ihren Platz. Sie verschwinden nicht im Nichts, sondern wechseln nur die Seite, indem sie von der Sichtbarkeit in die Unsichtbarkeit gehen, in die wir auch alle irgendwann zurückkehren, wenn es soweit ist. Und wenn wir uns dort befinden, dann wird das Hier zum Dort und das Dort zum Hier – dann ist das, was vorher sichtbar war, unsichtbar und umgedreht. Oder nicht? Logisch klingt, dass der Wechsel zwischen den Welten so lange stattfinden muss, bis das gereifte Bewusstsein begriffen hat, dass beide “Teile” eins sind. Etwas in uns weiß nämlich, dass es im Kern immer ganz bleiben wird und es das reine und unzerstörbare Sein ohne Gegensätze gibt, aus dem sich alles entwickelt. Entwicklung heißt ja nur, dass etwas Vorhandenes nach außen tritt, um sich zu zeigen (entfalten). Es kann nichts dazu kommen, was nicht potenziell schon existierte. Licht und Schatten gehören zusammen und bilden als Einheit ein Ganzes. Reorganisation ist darum das Wichtigste, was geschehen muss, wenn Heilung (Ganzwerdung) in unserem Verstand auch wieder ankommen soll. Ohne Ganzheitlichkeit leben wir Selbstverleugnung , und das ist auf Dauer nicht aushaltbar. Wer im Tod das Leben wiederfindet und im Leben den Tod, der hat verstanden, wofür wir in eine Welt  inkarnierten, die polar aufgebaut ist. Diese scheinbaren Gegensätze dienen nicht der schmerzlichen Trennung, sondern der Erkennung. In der Trauerarbeit geht es deshalb vor allem darum, den Ausgleich zwischen den Gegensätzen von Leben und Tod wiederherzustellen. Gelingt dies nicht, kann Trauer pathologisch werden und zu einer schweren reaktiven Depression führen. Leben und Tod klaffen dann so weit auseinander, dass dazwischen ein Abgrund entsteht, der unüberwindbar scheint.

Weitere Hinweise:

Wenn Sie Interesse an kreativ-künstlerischer Trauerverarbeitung haben, dann schauen Sie bitte gerne auch nach meinen Workshop-Angeboten.

Über die Neurographik im Speziellen ist eine detaillierte Beschreibung im Untermenü zu finden.