
Flow kommt nicht aus dem Verstand
Wenn man fokussiert und konzentriert ein Ziel verfolgt, ohne den genauen Entwicklungsverlauf mit seinem Verstand beeinflussen zu wollen, sich diesem Vorgang vertrauensvoll hingibt und entstehen lässt, was entstehen will, kommt etwas ins Fließen und Synchronizitäten werden sichtbar.
Meistens ist dieser Zugang in uns von Gedanken und oft auch von Versagensängsten verstopft. Wird er durch das Beiseitetreten des Verstandes freigelegt, ist man am Ende ganz erstaunt, was sich da im eigenen Beisein wie von selbst erschafft. Nicht ich erschaffe, sondern es geschieht durch mich. Man hat das Gefühl, bei der Entstehung gar nicht beteiligt, sondern nur Zuschauer gewesen zu sein.
Genauso geht es mir beim Schreiben. Auch aus meiner früheren Arbeit als Bühnenbildnerin kenne ich diese scheinbar fremdgesteuerten Prozesse. Hat man den Zugang gefunden, fließt alles ganz von selbst, und man fühlt sich wie ein Werkzeug oder Kanal für das schöpferisch kreative Bewusstsein, welches durch den Körper hindurch fließt, um zu manifestieren. An dieser Stelle spürt man, wer sprichwörtlich wirklich der Herr im Hause ist, und es entstehen die harmonischsten, stimmigsten und perfektesten Dinge, die der Verstand nie zustande bringen könnte.
Gelebte Realitätsverdrehung
Dass wir uns oft so hilflos fühlen, könnte daran liegen, dass wir unser Ich fälschlicherweise dem Verstand und damit dem Körper zuordnen. Für uns ist der Verstand das Ich und der Geist oder das reine Bewusstsein, also unser göttlicher Teil, etwas außerhalb von uns. Jenseitig gesehen ist es genau umgekehrt. Wir stellen durch diesen Rollentausch unserer beiden Ichs (bestehend aus dem Subjekt und dem aus einer Spiegelung entstandenen illusionären Objekt) die Welt also auf den Kopf, indem wir uns mit dem Spiegelbild identifizieren und somit aus der Gegenrichtung auf uns selbst schauen.
Aber auch diese Sichtweise hat seine Daseinsberechtigung. Eingeschlossen im Körper sind wir der Zuschauer, der sich mit dem Darsteller identifiziert und vergessen hat, wer er wirklich ist. Nur so können wir uns absolut reinfühlen in unsere selbst erschaffene Welt. Jenseitig sind wir der objektive Beobachter des Films. Beide Sichtweisen sind polare Extreme.
Das sich erkennende Selbstbewusstsein, die Seele, liegt aber in der Mitte, also genau dazwischen, denn Selbsterkennung kann nur über Selbstreflexion geschehen. Wir sind weder nur der Spiegel, noch nur der sich Spiegelnde, sondern beides - die Essenz „dazwischen“, die wir Zentrum, Mitte oder Herz nennen. Die Liebe verbindet beides – das Ich und das Mich. Und so ergibt sich der phantastische Satz: „Ich liebe mich!“, der nichts mit Narzissmus zu tun hat, sondern mit wahrer Selbsterkennung.
Wenn der Verstand in uns nichts anderes tut als zu beobachten und der Beobachter (Geist / Bewusstsein) in uns nichts anderes macht, außer zu verstehen, tun beide ihren zugewiesenen Job. Dann ist das Selbst – die Verschmelzung von beidem - orientiert, kann handeln und gezielt manifestieren, was ihm gut tut.
Ungleichgewicht entsteht durch Polariserung
Schwierig wird es, wenn wir nicht aus unserer Mitte heraus in Ausgeglichenheit agieren, sondern Position auf der einen oder anderen Seite beziehen und uns dadurch mit dieser Seite so stark identifizieren, dass wir die andere Seite der Polarität aus den Auge verlieren.
Positionierung in den Polen ist immer einseitig und damit schmerzlich trennend. In der Mitte haben wir beide Rollen vor Augen, sowohl die objektiv beobachtende dissoziierte männliche als auch die subjektiv fühlende assoziierte weibliche. Yin und Yang geben sich die Hand und sind eins, nicht entweder Yin oder Yang.
Der Verstand sollte nicht verstehen wollen, dafür ist er viel zu begrenzt. Und wenn der Beobachter nur beobachtet, das Beobachtete aber nicht versteht, ist auch keine Bewusstseinserweiterung und Selbsterkennung möglich. Dann dreht sich was im Kreis und die Seele kann sich nicht entfalten. Nur aus der Mitte heraus kann sie beide Richtungen gleichzeitig wahrnehmen. Dann ist sie nicht dissoziiert, ohne zu fühlen und auch nicht assoziiert, ohne sich steuern zu können. Sie kann alles oder nichts sein. Entweder lösen sich die Polaritäten ineinander auf und bilden etwas Neutrales oder sie ergänzen sich zum großen Ganzen. Beides ist dasselbe - das Alles und das Nichts. Die Spannung, die durch Ungleichgewicht entsteht, verschwindet, wenn alles im Gleichgewicht ist.
Ich höre und lese oft, wie der Verstand als Übeltäter negiert wird. Das darf nicht grundsätzlich geschehen, denn er hat eine wichtige Aufgabe als Gegenüber, welche er vorzüglich erfüllt, wenn wir ihn richtig einsetzen. Ohne ihn gäbe es keine Objekte, die das Bewusstsein beobachten könnte und somit auch kein Identitätsgefühl. Leben entsteht, wenn sich reines Bewusstsein reflektiert. Dafür braucht es den Verstand. Er liefert Erleben, damit das Bewusstsein, das alles sein kann, mit sich spielen kann. Aus dem Spiegel heraus entsteht der fühlende Part, der notwendig ist, damit sich eine Seele herausbilden kann. Gefühle sind reflektierte Gedanken, Gefühlen sorgen dafür, dass sich das Herz erweitert, in dem es neue Gedanken zulässt. Wir sind Bewusstsein - gefühltes Wissen, welches weiß, dass es fühlt. Da nicht alle Wesen gleichermaßen reflektieren können, sind Seelen unterschiedlich entwickelt. Ein Herz ist entweder noch klein oder riesig groß, je nachdem, wieviel Fühlen schon aus seinem Erleben gewonnen wurde.

Ganzheitlichkeit
In Wahrheit sind wir eins, haben aber zwei Pole. Wer nur die einen Seite der Medaille anerkennt, ist auf einem Auge blind und mit einem Bein gelähmt. Wer dagegen beide Anteile seiner Seele mit einem Mal im Blick hat, weiß, dass er alles und eins ist, also das eine in allem und alles in einem.
Wir sind immer zugleich assoziiert und dissoziiert, Zuschauer und Darsteller, identifiziert und nicht identifiziert, subjektiv und objektiv, passiv und aktiv – denn sonst wären wir nicht. Das Entweder-oder-Denken trennt uns von einem Teil unseres Selbst. Je schneller wir schwingen zwischen diesen beiden Polen, desto mehr erkennen wir uns. Ohne zu schwingen ist das Ich auch vorhanden, tappt aber im Dunkeln.
Wo es keine Polaritäten mehr gibt, gibt es auch keine Ausdrucksmöglichkeiten und keine Selbsterkennung, denn diese braucht eine (wenn auch imaginäre) Reflexionsfläche.
Wir alle verstricken uns wieder und wieder in neue Lebensgeschichten, wollen lachen und weinen und uns dabei spüren. Die einen wissen dabei, dass sie die Zuschauer ihres Filmes oder ihrer Serie sind, und dass es die Erfahrung echter und lebendiger macht, wenn sie sich auch mit dem Darsteller identifizieren, die anderen wollen das nicht glauben und verbleiben unreflektiert in der assoziierten Rolle. Die einen sind dadurch voller Ängste, die anderen nicht.
Je identifizierter wir mit einer der beiden Seiten sind, desto involvierter und gefangener fühlen wir uns. Aber genau diese Extreme einmal in der Identifizierung selbst gespürt zu haben, ist wichtig, um mitfühlend zu werden. Darum haben wir wohl den „Schleier des Vergessens“ um uns aufgebaut. Er lässt uns spüren, wie es sich anfühlt, halbseitig gelähmt zu sein und weckt damit die Sehnsucht, ganz zu werden. Wenn es soweit ist - und Schmerz und Unzufriedenheit sind ein wunderbarer Katalysator und Türöffner - hebt sich jede Seele selbst in ein neues und höheres Bewusstsein. Solange verbleibt und reift Bewusstsein weiter in seinem Kokon. Wird Schmerz unerträglich, öffnen wir uns, dann leuchtet das Schild „Notausgang“ ganz von alleine auf. Es ist jedem selbst überlassen, ob er offene Türen durchschreiten und dem Licht entgegen fliegen will oder weiterhin leidend in der Dunkelheit verharren möchte. Wem was, wann und wieviel offenbart wird, scheint damit zusammenzuhängen, wir offen man ist. Ähnlich einem Blinzeln öffnet sich das geistige Auge, um noch mehr Geist zu erhaschen, indem es Fragen stellt.
Nur gefühlte Informationen sind lebendig und wirklich von bleibendem Wert
Das fühlende Ich bzw. Selbst (die Seele) entsteht also dadurch, dass sich Gott, oder wie auch immer man dieses große Bewusstsein / unseren Geist, nennen mag, spiegelt. Wir sind nicht nur das eine (Verstand), wir sind aber auch nicht nur das andere (reiner Geist), wir sind beides – die Henne und das Ei – und damit etwas viel Größeres als die Summe seiner Teile. Die geistige Einheit ist ein System, das sich aus sich selbst heraus gebärt, ernährt und erhält. Uns ist meist nicht bewusst, dass wir Schöpfer und Schöpfung zugleich sind, weil wir das Entweder-oder (die Pole), statt dem Sowohl-als-auch (die Einheit) leben und mit unseren Gedanken entweder in der Zukunft oder der Vergangenheit verweilen oder festhängen, statt entspannt das Jetzt zu genießen.
Aber warum können wir es nicht genießen? Weil in uns oft ein Ungleichgewicht besteht. Entweder verstehen wir nicht, dann fühlen wir sehr stark und sind den Emotionen komplett ausgeliefert, weil wir sie nicht sortiert bekommen, oder wir fühlen nicht, dann meinen wir nur, etwas verstanden zu haben, haben aber in Wirklichkeit keine Ahnung und sind verletzend zu Menschen, die leiden.
Ohne selbst durch die Hölle gegangen zu sein, können wir nicht bis in die tiefsten Tiefen mitfühlen. Uns fehlt einfach diese Erfahrung. Darum muss man mit Menschen, die Höllenqualen erleiden, sehr behutsam umgehen und würdigen, was sie durchmachen. Wer es gerade nicht erlebt, hat immer gut reden. Wer von oben herab mit klugen Ratschlägen um die Ecke kommt, kann viel kaputt machen.
Wiedermal liegt die Lösung in der Mitte – im Gleichgewicht. Die Lücken / Defizite müssen geschlossen werden. Dafür sorgt das Leben, indem es uns Gelegenheiten schickt, um aus ihnen zu lernen und uns damit zu vervollständigen. Darum erleben wir oft, dass unsere größten Ängste wahr werden, damit wir uns mit ihnen mal richtig auseinandersetzen unser verkehrtes Denken über die Welt geradebiegen. Trennung / Diskrepanz trägt immer die Einladung zur Potenzialentfaltung in sich. Wer sich schlecht fühlt, kann immer davon ausgehen, dass er Unwahrheiten lebt, die aufgelöst werden wollen.

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